Die Spannung steigt – endlich biegt der lang ersehnte Transporter in die Schlossstraße in Lemgo ein. Er fährt nicht, er schleicht wie in Zeitlupe über das holprige Kopfsteinpflaster. Höchste Vorsicht ist geboten. Warum? Der Wagen hat etwas Einmaliges, etwas äußerst Wertvolles geladen. Zwei Mal eineinhalb Meter misst die empfindliche Fracht, die keinerlei Schaden nehmen darf. Die Ladung stammt aus dem frühen 17. Jahrhundert und mag es eigentlich überhaupt nicht, transportiert zu werden. Die Rede ist von einem außergewöhnlichen Gemälde, das ab dem 3. September im Rahmen der nächsten Sonderausstellung „Mach’s Maul auf – Reformation im Weserraum“ exklusiv im Weserrenaissance-Museum zu sehen sein wird. Es zeigt den Mindener Bürgermeister Johann Sobbe mit seiner Frau und den überaus zahlreichen Nachfahren.
Eckehard Deichsel, seines Zeichens Restaurator im Weserrenaissance-Museum Schloss Brake, und der Kunsthistoriker Dr. Michael Bischoff, weisen dem Transporter den Weg zur Werkstatt. Denn dort soll das Epitaph in einen separaten Raum, eine provisorische Klimakammer, gebracht werden. Als sie die Wagentüren öffnen, sieht man eigentlich nur eines: Verpackung. Mehrfach eingewickelt ist das Kunstwerk. Zunächst mit Tyvek, einem glatten, dampfdurchlässigen und textilen Material, das die Oberfläche des Kunstwerkes nicht beschädigen kann. Die äußeren Schichten bestehen aus einer mit Luftpolstern versehenen Folie, die die Temperatur konstant hält und isoliert. Derart verpackt findet das 70 Kilogramm schwere Gemälde den Weg in sein vorläufiges Zuhause. Mithilfe eines Kühlgerätes und eines Befeuchters liegt die Temperatur hier bei 17 Grad und die Luftfeuchtigkeit bei 65 Prozent. „Wir imitieren die klimatischen Bedingungen des Ursprungsortes“, erklärt Deichsel. Das Epitaph hängt normalerweise in der St. Martinikirche in Minden. Nachdem die Leihanfrage kam, wurde das Gemälde gegen Schimmel behandelt und an einigen kritischen Stellen restauriert.
Mit dem Auspacken des Kunstwerks wartet der Restaurator allerdings ein paar Tage – damit es sich etwas akklimatisieren kann. Nur wenige Tage später, entfernt Eckehard Deichsel die Verpackungen und legt das Kunstwerk frei. Zum Vorschein kommt das Epitaph der Familie Sobbe. Wie bei einem Stammbaum sind die zahlreichen Familienmitglieder in Öl auf Eichenholz gemalt – allesamt in spanischer Hofmode gekleidet – sprich schwarz und mit einem aufwändigen weißen Kragen versehen. Alle abgebildeten Personen falten ihre Hände zum Gebet. Im oberen Teil des Bildes ist die göttliche Kraft in Form einer Sonne mit goldenen Strahlen angedeutet – von zahlreichen Engeln umgeben.
Direkt nach dem Auspacken des Bildes überprüft Eckehard Deichsel mit Hilfe einer speziellen Brille und einer besonderen Lampe den Zustand des Objekts – vor allem, ob es den Transport unbeschadet überstanden hat. Von kritischen Stellen macht er Detailfotos. „In den nächsten Monaten werde ich ein wachsames Auge auf das Kunstwerk haben und es ganz langsam an eine Temperatur von 20 Grad und auf eine Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent gewöhnen. Denn das sind die Bedingungen später in unseren Ausstellungsräumen“, erklärt der Restaurator. Um es dorthin zu transportieren, muss das Kunstwerk wieder ordentlich verpackt und mit einem Transporter zum Weserrenaissance-Museum gefahren werden. Ganz vorsichtig, versteht sich.
«« vorheriger Beitrag: Picknickmüll nach Party im Park mitnehmen.
nächster Beitrag: Kreiswirtschaftsförderung setzt auf intensive Netzwerkarbeit. »»