Marin Stork.

Marin Stork.

Blomberg, 05.01.1984. Ein Tag, der das Leben von Marin Stork verändern sollte. Auf dem Weg zur Arbeit, von Reifglätte überrascht, war der Unfall nicht mehr zu verhindern. Im Krankenhaus wieder aufgewacht und mit der Querschnittslähmung konfrontiert blieben zwei Möglichkeiten: Den Kopf in den Sand stecken, oder das Leben bestmöglich zu genießen. Marin Stork entschied sich für die zweite Variante und nimmt aktiver am Leben der Nelkenstadt teil, als viele andere Bürger dies tun. Sie war bereit uns ein paar Fragen zum Thema „Barrierefreies Blomberg“ zu beantworten und gab uns auch sehr persönliche Einblicke in ihr Leben.

 

Wo liegen die Schwierigkeiten im Alltag?
Nicht behinderte Menschen stellen sich das Leben von behinderten Menschen oft als ungemein schwierig vor. Das ist es aber nicht unbedingt. Anfänglich brauchte ich für die Planung von Alltäglichem noch viel Zeit. Mit der richtigen Einstellung entwickelt man schnell Routine und wird auch erfinderisch. Anziehen, Umziehen oder Körperhygiene bleiben natürlich eine Herausforderung und beanspruchen deutlich mehr Zeit. Aber auch hier ist alles eine Sache des Trainings.

 

Wer half Ihnen damals?
In so einer Situation fühlt man sich zunächst allein. Auch meine Familie wusste zunächst nicht, wie sie damit umgehen soll und mir am Besten helfen kann. Dennoch gaben mir meine Eltern und selbst mein damals 14 Monate alter Sohn sehr viel Kraft und haben mich unterstützt. Meine medizinische Vorbildung als Kinderkrankenschwester hat mir allerdings auch geholfen – ich wusste, dass eine Querschnittslähmung nicht „das Ende der Welt“ bedeuten muss.

 

Gab es eine depressive Phase?
Natürlich habe ich schon öfter mal gedacht, „warum ich, warum hat es mich getroffen?“, aber das finde ich ganz normal um die neue Lebenssituation zu verarbeiten. Schwere depressive Phasen habe ich jedoch nicht gehabt.

 

Wie hat sich ihr privates Umfeld verändert?
Der Freundeskreis hat sich schon verändert. Es sind Menschen auf mich zugekommen, zu denen ich vor meinem Unfall kaum oder gar keinen persönlichen Kontakt hatte. Es gab jedoch auch die umgekehrte Situation, dass Leute die Straßenseite gewechselt haben wenn sie mich sahen. Ich habe mich allerdings nie damit belastet, denn das hätte mich in meiner neuen Lebenssituation nicht weiter gebracht. Eine weitere private Veränderung möchte ich nur kurz erwähnen. Drei Jahre nach meinem Unfall habe ich mich von meinem Ehemann getrennt.

 

Wie gehen fremde Menschen mit Ihnen um?
Ich kann hier nur für mich sprechen, andere Menschen in gleicher Situation mögen durchaus andere Erfahrungen gemacht haben. Freundlich nachgefragt, hilft man mir in erforderlichen Situationen, teilweise auch ungefragt. Die Bürger hier in Blomberg kennen mich so ziemlich alle, weil ich auch vor meinem Unfall schon in Blomberg gewohnt habe. Natürlich gibt es auch Menschen die wegsehen, dies jedoch eher aus Unsicherheit. Unfreundlichkeit habe ich persönlich noch nie erfahren.

 

Werden Sie mit Samthandschuhen angefasst?
Warum sollte ich? Ich bin „nur“ körperlich beeinträchtigt, mein Kopf hingegen funktioniert doch tadellos. Wer ein Problem hat, der soll es mir sagen. Mein Umfeld weiß das und akzeptiert das. Ich hoffe, ich liege da richtig? (lacht)

 

Stichwort Einkauf. Selbstständig oder Lieferdienst?
Hier steht bei mir die Selbstständigkeit eindeutig im Vordergrund! Das Geld bleibt vor Ort, ich kaufe nur in Blomberg ein und bekomme hier alles was ich zum Leben brauche. Wenn ich im Supermarkt an die hohen Regale nicht rankomme, habe ich einen Mund zum Fragen, dass ist überhaupt kein Problem. Dann habe ich immer einen netten Spruch parat, “würden Sie mir bitte einmal Ihren Arm leihen, Sie bekommen ihn auch gleich zurück.“ Dieser Satz hat bis jetzt immer für eine zusätzliche und positive Kommunikation gesorgt.

 

Welchen Hobbys gehen Sie nach?
Schwimmen ist für mich der Freizeitsport, den ich mindestens zweimal in der Woche ausübe. Ich bin vor meinem Unfall schon gerne im Wasser gewesen und viel geschwommen. Direkt nach meinem Unfall war das auch eine der ersten therapeutischen Maßnahmen, mit entsprechenden Hilfsmitteln wie Schwimmflügeln an Armen und Beinen. Während meines Klinkaufenthaltes haben mich die Krankengymnasten vor die „Wahl“ gestellt: „Entweder Du gehst freiwillig ins Wasser, oder wir werfen Dich rein.“ Ich war mir sehr sicher, dass die es auch gemacht hätten. Das klingt vielleicht herzlos, war aber genau richtig. Dazu muss ich sagen, die Schwimmbäder in Blomberg sind super. Ebenerdige Eingänge, Umkleidekabinen und Duschen – absolut vorbildlich. In anderen Städten ist es schwerer. Stufen am Eingang, die Beschaffenheit der Umkleidekabinen oder das Reinkommen ins Schwimmbecken sind ein großes Manko.
Welche Hindernisse bereiten Probleme?
Im Allgemeinen ist eine barrierefreie Umgebung für mich natürlich sehr wichtig. Finde ich Stufen vor, unzugängliche Toiletten, keine Fahrstühle, etc., bin ich de facto ausgeschlossen. Hier bereitet die Einstellung mancher Leute eher Probleme, weil sie sich die Situation von behinderten Menschen nicht vorstellen können oder wollen. Sind Aufzüge vorhanden werden behinderte Menschen oft als Sicherheitsproblem angesehen. Freizeiteinrichtungen wie Kinos oder vergleichbare Einrichtungen sind häufiger über mehrere Etagen gebaut. Wenn dann Aufzüge vorhanden sind, wird behinderten Menschen der Zugang verwehrt, weil hier im Notfall ein Rettungsproblem im Vordergrund steht. Ob man in solchen Fällen von Diskriminierung sprechen sollte möchte ich so nicht behaupten. Wenn jedoch Sicherheitswahn zur Ausgrenzung führt, erst dann reden wir von Diskriminierung.

 

Und in Blomberg?
Im Allgemeinen hat sich in Blomberg schon relativ viel in Sachen Barrierefreiheit getan. Verbesserungspotenzial gibt es aber immer, so natürlich auch in Blomberg. Oft höre ich das Argument der höheren Kosten für barrierefreie Baumaßnahmen. Zum Beispiel der Kostenvergleich einer Treppe oder Stufen mit einem ebenerdigen Eingang lohnt sich immer! Denn bei einem Eingang ohne Hindernis wäre nicht nur dem behinderten Menschen mit Rollstuhl oder Rollator, sondern auch dem Fußgänger, geholfen.

 

Wie sieht es in Blomberg mit den Sportvereinen aus?
In Sportvereinen würde ich mir etwas mehr Akzeptanz wünschen. Fast jede Sportart kann von Menschen
mit Behinderung ausgeübt werden. In Blomberg wären das z.B. Schwimmen, Badminton und Bogenschießen. Wenn Menschen sich etwas für sich selbst nicht vorstellen können, dann neigen Sie dazu, dies auf andere zu projizieren. Es sollte doch so sein, dass ich entscheide was ich mir zumuten kann und was nicht. Ich erwarte hier ja keine direkte Rücksicht oder will andere in der Ausübung beschneiden. Wenn man aber gleich mit der Begründung „Das kannst Du doch nicht.“ ausgrenzt wird, dann ist das nicht in Ordnung. Übrigens, integrativer Sport macht viel Spaß und baut Barrieren ab.

 

Politisch setzen Sie sich für Menschen mit Behinderung ein?
Ich möchte sensibilisieren, dazu muss ich manchmal auch vermeidliche Kleinigkeiten nutzen. Nehmen wir zum Beispiel die Umgestaltung des Marktplatzes. Natürlich habe ich angesprochen, dass Rollstuhlfahrern der Zuweg für kurze Zeit versperrt wurde, aber warum denn? Eben auch, um für größere Dinge zu sensibilisieren. Warum sind zum Beispiel die Hauseigentümer, oder aber auch die Verwaltung, nicht auf die Idee gekommen, den Umbau des Kurzer Steinweg/ Heutorstraße zu nutzen, um die eine Stufe bei manchen Geschäften zu entfernen? Hier wird manchmal einfach noch zu wenig nach gedacht. Hier wünsche ich mir, dass schon in den Planungen mehr an Menschen mit Behinderung gedacht wird. Wichtig ist mir hierbei rechtzeitig nachzufragen!

 

Wer soll die Kosten tragen?
Genau das ist der Punkt. Mir ist klar, dass es finanzielle Grenzen gibt und Kleinstädte nicht das leisten können, was in Großstädten Standard ist. Sich aber hinter Kosten zu verstecken bringt auch nichts. Oft sind es wirklich nur Kleinigkeiten, die für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen im Alltag ungeheure Erleichterungen bedeuten. Z. B. ist eine Stufe für
einen Rollstuhl ein Hindernis, KEINE Stufe aber auch für einen Fußgänger eine Erleichterung. Wie gesagt, ich will mit meinen „Provokationen“ sensibilisieren.

 

Ein sensibles Thema ist auch Sexualität?
Weniger sensibel denn persönlich. Mit zunehmendem Alter spielt das Sexualleben eher eine untergeordnete Rolle, dies auch ohne Behinderung. Ein Mensch im Rollstuhl wird von vielen gerade unter diesem Aspekt anders gesehen. Ich kann Ihnen aber versichern, dass ist zu Unrecht. Die Unsicherheit, in meinem Fall der Männer, kann ich verstehen. Sie sind einer der ersten, der diese Frage überhaupt stellt.

 

Ein Schlusswort oder Wünsche?
Ich erwarte nicht, dass Menschen ohne Beeinträchtigungen sich dem Thema Behinderung täglich widmen sollen. Es würde mich einfach freuen, wenn dann dieses durch Dritte angeschnitten wird, die Menschen etwas aufgeschlossener damit umgehen. Sich einfach mal unvoreingenommen auf behinderte Menschen einlassen, dass würde so manche unbewusste Denkblockade aufheben. Barrierefreiheit fängt im Kopf jedes Einzelnen an.


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